Blickwinkel 1

Eine Sache, bei der ich mich als Autor wohl von meinen Kollegen unterscheide, ist die Erzählperspektive. Während die meisten lieber mit der personellen Perspektive – also klar aus der Sicht der Protagonisten – erzählen, wähle ich oftmals den auktorialen Erzähler – der über den Ereignissen steht und alles sieht und weiß. Diese Perspektive ist vor allem in älteren Büchern zu finden und dementsprechend ist der Ruf dieser Erzählmethode “antiquiert“. Manche Leser solcher Erzählungen bemängeln auch, dass der auktoriale Erzähler oftmals etwas besserwisserisch rüber kommt und zum Schwafeln neigt.

Das sei mal so dahingestellt. Ich selbst bin der Meinung, dass man auch diese Erzählperspektive modern und spannend gestalten kann. Worum es mir heute geht, ist der handwerkliche Umgang mit dieser Methode.

 

Adlerauge

Mir gefällt am auktorialen Erzählen vor allem, dass ich Hintergründe auch erläutern kann, ohne diese Beschreibungen und Erklärungen in sinnvolle Szenen oder gar Dialoge verpacken zu müssen. Dabei wird die Regel “show, don’t tell“ außer Kraft gesetzt. Sie ist meiner Meinung nach eine sehr moderne Erscheinung, die von den Rezeptionsgewohnheiten der heutigen Medienkonsumenten geprägt ist. Natürlich kann man sich diesem Gewohnheiten nicht vollkommen widersetzen, schon gar nicht in der Unterhaltungsliteratur. Aber man muss sich auch nicht sklavisch daran halten, sondern auf die Bedürfnisse der Geschichte eingehen.

Es gibt in jeder Erzählung Passagen, die dazu einladen, etwas ausschweifender zu berichten und Details einzubringen, die nicht unbedingt wichtig sind, aber zur Atmosphäre beitragen. Dazu ist der auktoriale Erzähler bestens geeignet, da er sich nicht an der reinen Wahrnehmung seiner Protagonisten und ihren eigenen Gedankengängen orientieren muss, sondern auch mal “über allem“ schweben und dabei zurück, zur Seite oder gar nach vorne blicken kann.

Wichtig ist wie hier immer das rechte Maß – zum Einen sollten solche Passagen an Stellen der Handlung kommen, die sie erlauben – also nicht mitten in einem actiongeladenem Kampf – und zum Anderen sollten sie auch nicht so weit abschweifen, dass der Leser den Faden verliert.

 

Kopfsprung

Einer der großen Vorteile des auktorialen Erzählens ist auch gleichzeitig die große Schwierigkeit: es ist möglich Geschehnisse aus mehreren Perspektiven zu beobachten, also die Wahrnehmungen mehrere Protagonisten wiederzugeben. Das heißt, dass der Leser durch die Augen der verschiedenen Charaktere sieht, ihre Gedanken und Emotionen erfährt, und der Autor die Aufgabe hat, diese Übergänge eindeutig und angenehm zu gestalten. Tut man das nicht, sondern springt zwischen den Perspektiven hin und her, nimmt man dem Leser die Orientierung und damit höchstwahrscheinlich auch den Lesespaß.

Um solche Unannehmlichkeiten zu vermeiden ist es sinnvoll sich an Regeln der Kameraführung zu halten: man wählt eine Bewegungsrichtung und folgt dieser. Das könnte zum Beispiel heißen, man beginnt mit dem Charakter, der dem Zentrum der Ereignisse am nächsten ist und geht dann weiter nach außen, oder anders herum.

Man wechselt auch nicht unbedingt von einer Detailaufnahmen in die nächste Detailaufnahmen, sondern wählt zunächst eine Nahaufnahme, in der ein etwas größerer Ausschnitt zu sehen ist und die dem Leser etwas mehr Orientierung bietet, um dann wieder näher ran zu gehen.

 

Ich persönlich finde die Metapher mit der Kamera sehr hilfreich und versuche sie mir beim Schreiben und Überarbeiten immer vor Augen zu halten. Ab und an kann es auch helfen, ein Storyboard anzulegen, in dem man festhält welche “Einstellungen“ aufeinanderfolgenden.

4 Kommentare zu „Blickwinkel 1

  1. Ein schön geschriebenes Plädoyer für den auktorialen Erzähler.

    Ich würde nur noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Die Distanz zu den Figuren. Gerade dadurch, dass der Erzähler über allem schwebt, muss man sich nicht mit den Protagonisten der Handlung identifizieren. Gerade, wenn es sich um eher verkommene Subjekte oder Anti-Helden handelt, die den Leser faszinieren, nicht aber zur Nachahmung motivieren sollen.
    Ein Kniff, den schwafelnde Erzähler mit einem leichten, ironischen Unterton wunderbar gestalten können.

    Ansonsten bin ich ganz bei dir. Ganz besonders, was diese unsäglichen Kopfsprünge angeht. Die wollen und wollen mir einfach nicht gelingen.

    1. Ja, der Erzählton und damit der Unterschied zwischen Figur, Erzähler und Autor, ist ein weiteres Thema, das ich noch separat ansprechen will.

  2. „Das heißt, dass der Leser durch die Augen der verschiedenen Charaktere sieht, ihre Gedanken und Emotionen erfährt, und der Autor die Aufgabe hat, diese Übergänge eindeutig und angenehm zu gestalten.“

    Hm, sag mir, wenn ich mich irre. Ich war immer der Meinung, dass der auktoriale Erzähler zwar alles weiß und sieht, mitnichten aber a) alles auch immer mitteilt und b) die Darstellung der Gedanken der Figuren oder ihrer Blickwinkel auch direkt geschieht. Er schildert also keine direkten Gedanken (Merde!, dachte Ella.) sondern verpackt diese (Ella fluchte innerlich).

    Ein wichtiger Punkt, um den auktorialen Erzähler vom personalen Erzähler auch aubzugrenzen (manchmal ist das ja recht schwammig), ist mMn auch, dass der Charakter des erzählten Textes immer gleich bleibt. Der Erzähler klingt nicht anders, nur weil gerade eine andere Figur den POV inne hat. Er passt sich vielleicht an, indem er die eine Figur wohlwollender darstellt als eine andere. Dennoch hat der Erzähler seinen eigenen Charakter.

    „Ich persönlich finde die Metapher mit der Kamera sehr hilfreich und versuche sie mir beim Schreiben und Überarbeiten immer vor Augen zu halten.“

    Ja, ich finde sie auch sehr hilfreich. Man muss nur aufpassen nicht zu cineastisch zu werden, um nicht plötzlich in den neutralen Erzähler zu rutschen.

    @Tintenteufel

    „Ganz besonders, was diese unsäglichen Kopfsprünge angeht. Die wollen und wollen mir einfach nicht gelingen.“

    Wie meinst du das? IdR. wirst du doch wissen, was deine Figuren denken oder fühlen? Als auktorialer Erzähler musst du nur Einsicht darin geben.

    Head-Hopping gehört eigentlich zum personalen Erzähler, der den POV wechselt als wäre er ein auktorialer Erzähler, trotzdem aber in der limitierten Welt- und Gedankensicht der aktuellen POV-Figur verbleibt (wie es sich für einen personalen Erzähler eben gehört). Die allgemeine Lehrmeinung hat allerdings ihre Probleme damit, wenn Head-Hopping innerhalb von Szenen auftritt. Das gilt als schlechter Stil. (Der Begriff beschreibt auch nur diesen Fall. Den POV/ die Figur zwischen Szenen zu wechseln, ist ja völlig legitim.)

    1. An sich widersprechen wir uns nicht – der Erzählton in bleibt beim auktorialen Erzähler immer gleich, auch wenn er durch andere Augen sieht. Welche Informationen wiedergegeben werden, und auch welche Gedanken und Emotionen der Figuren, geschieht selektiv danach, was der Leser erfahren soll. Der Einblick in das Innenleben eines Charakters geschieht nur in dem Umfang, wie es nötig ist.
      Und auch Gedanken stelle ich nur indirekt dar, wie du es beschrieben hast.
      Ich achte auch darauf, keine persönlichen Wertungen der Figuren im Erzähltext zu haben, sondern eher einen neutralen Blick zu bewahren.

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