#1 | Ashuraya
Im Laufe der Geschichte dieser Welt gab es immer wieder Zeiten des Krieges, der Dunkelheit, der Angst und des Schmerzes. Doch jedes Mal eilten den Kindern der Welt Helden zur Hilfe – große Krieger, weise Frauen, mächtige Zauberer.
Manche sagen, es sei das Werk der Götter. Andere sagen, es sei natürlich, dass düstere Zeiten große Taten hervorbringen. Aber es gibt eine dritte Theorie, unheilvolle und grauenerregend.
***
Alben – die wohl übelste Brut ganz Asariens. Man sagt sie fressen Menschen. Man sagt sie töten jeden, der ihnen einen schiefen Blick zuwirft. Man sagt sie kennen keine Kunst, außer der Kunst des Krieges. Krieg – das einzige was sie lieben. Alles hier, in Fairan at Darnen, ist für den Krieg geschaffen. Jedes Haus eine Festung, jedes Schmuckstück eine Waffe, jeder Mann ein ausgebildeter Kämpfer. Und warum das alles? Fast sechstausend Jahre Bruderkrieg liefern genügend Gründe. Ein Blutvergießen nach dem anderen. Der Hass, der Alben und Elfen miteinander verbindet, endet nie. Und das obwohl sie alle von den selben Vorvätern abstammen und noch immer einige ihrer besseren Eigenschaften teilen: Sturheit, Arroganz, Jähzorn …
Ich sollte nicht hier sein. Mutter hätte es mir ausgeredet. Sie sagte immer man solle sich nicht mit Alben einlassen. Wie waren noch einmal ihre Worte? “Wenn du es je mit einem von ihnen zu tun bekommst: töte ihn sofort. Danach kannst du dir einen guten Nekromanten suchen, der das Reden übernimmt.”
“Weißt du …” Furgam riss Marjella aus ihren trüben Gedanken. “Ich hatte mit mehr Schwierigkeiten gerechnet.”
Marjella entkam ein Schnauben. Sie starrte noch immer zum Fenster hinaus, wo der scheinbar endlose Regen auf Ashuraya, die Hauptstadt von Fairan at Darnen, nieder ging. “Spar dir das auf bis wir tatsächlich hier heraus sind. Das Schlimmste liegt noch vor uns.”
“Ja, ja.” Furgam kaute nachdenklich auf seinem Tabak. “Aber wenn ich bedenke, dass wir eigentlich mit leeren Händen dastanden, hat sich doch alles zum Guten entwickelt.”
“Wir hatten verdammtes Glück”, seufzte Marjella. “Hätten diese Idioten in der Schenke nicht den Streit und die Schlägerei vom Zaun gebrochen, wüssten wir immer noch nicht, wonach genau wir suchen.”
Furgam nickte. “Das ist das Seltsamste überhaupt, weißt du? Ich dachte, dass es … wie sagt man? Wenn man etwas sagt, es aber anders meint?”
“Metaphorisch”, brummte Marjella und beobachtete die Regentropfen, die an der Scheibe hinunter wanderten.
“Ja, genau – metaphorisch. Wie Prophezeiungen nunmal so sind. ‘Findet den, der das Verderben trägt’ – als du damit zu mir gekommen bist, dachte ich: heilige Scheiße! Damit könnte jeder dieser Gesellen gemeint sein. Ich bin nur mitgekommen, weil ich es deiner Ma schuldig bin.”
Mit einem Seufzen drehte Marjella sich um und ging einige Schritte hin und her. “Ich bin dir wirklich dankbar, dass du dabei bist. Deine Idee mit dem Geruch hat die ganze Aktion erst möglich gemacht. Ohne diese Tarnung wäre keiner der Jungs bereit gewesen, mit mir hierher zu kommen.”
Furgam spuckte aus. “Naja, könnte auch am Geld liegen. Du bist erstaunlich großzügig dieses Mal.”
“Ich zahle entsprechend des Risikos.” Marjella hob die Schultern. “Und mein Auftraggeber ist mehr als nur großzügig. Man könnte es schon fast fanatisch nennen. Oder verzweifelt.”
Furgam nickte gedankenverloren.
Ein Klopfen an der Tür ließ die beiden zusammenzucken. Marjella drehte sich eilig um und verbarg ihr Gesicht. Furgam stand auf, die Hand am Griff seines Dolchs, und ging zur Tür. Er lauschte kurz und öffnete dann, während Marjella sich noch weiter in die Schatten zurück zog.
Vor der Tür stand einer der anderen menschlichen Kopfgeldjäger. “Alles bereit, Boss. Babra und Lorren haben den Kerl im Auge. Wir können loslegen“, sagte er.
Furgam nickte und schloss dann wieder die Türe. Er sah zu Marjella hinüber, die nach ihrem Mantel und den schmutzigen Tüchern griff.
“Alles klar bei dir?“, fragte Furgam und steckte sich ein großes Stück Kautabak in den Mund. Der schwere, dumpfe Geruch füllte das Zimmer.
Marjella verzog das Gesicht. “Lass es uns hinter uns bringen. Ich will hier raus bevor mich jemand erkennt.”
Sie hüllte sich sorgfältig in ihren Mantel, versuchte dabei nicht zu atmen und zog sich die Kapuze tief ins von Lumpen umwickelte Gesicht. Sie überprüfte den Sitz ihrer Waffen. Auch wenn sie sechs Helfer an ihrer Seite hatte – es waren Menschen und somit keine große Hilfe gegen einen Alb. Wenige Dinge waren in so einem Fall eine zuverlässige Hilfe. Abgesehen vielleicht von einem Armbrustbolzen, den man aus sicherer Entfernung auf den Rücken gezielt abschoss. Das war Marjellas ursprünglicher Plan gewesen. Es war ein guter Plan. Er funktionierte immer.
Unglücklicher Weise war ihr Auftraggeber sehr deutlich gewesen, was das betraf: für das weitere Vorhaben brauchten sie den der das Verderben trug lebend.
Glücklicher Weise war es der verfluchte Alb selbst gewesen, der Marjella zumindest diese Sorge genommen hatte: ihren Informationen nach lag er im Moment in eine Gasse und schlief seine Rausch aus.