#37 | Stilles Wasser

“Na und?”

Marjella blinzelte. Sie starrte Vargas an und es dauerte einen Augenblick, bis sie sich daran erinnerte, dass Alben Wesen ohne jegliche Moral und Gewissen waren.

Sie schnaubte. “Nicht jeder ist bereit seine Seele und das Schicksal der ganzen Welt aufs Spiel zu setzen, nur um Macht und Reichtum zu erlangen.”

“Klingt nach etwas, das du tun würdest.”

“Ich habe meine Grenzen und Prinzipien”, fauchte Marjella. “Wir lassen uns nicht mit einem Schwarzmagier ein! Es steht zuviel auf dem Spiel.”

“Was denn? Dein feiner Ruf? Oder noch mehr Geld als das, das du schon verlierst, wenn du mich nicht an deinen Auftraggeber auslieferst?” Vargas lächelte. “Was gewiss nicht geschehen wird, wenn du Thuroq nicht aus der Scheiße ziehst, in die du ihn gestoßen hast.”

Marjellas Augen wurden zu Schlitzen. Für einen Moment noch sah es so als als wolle sie schreien, dann warf sie die Hände in die Höhe. “Fein! Schön! Ganz wie du willst!” Sie stieß Vargas den Finger in die Brust. “Aber damit eines klar ist, du trägst die Verantwortung für  … was auch immer geschieht!”

Vargas hob die Schultern. “Du zahlst.”

Mit einem Ruck fuhr Marjella herum und stapfte zurück zum Gasthaus. Vargas folgte ihr.

In der dämmrigen Stube saß der Zauberer an einem Tisch in der Ecke und winkte ihnen fröhlich zu. Sein joviales Lächeln verschwand auch nicht, als Marjella sich mit einem Krachen auf den Stuhl ihm gegenüber fallen ließ.

“Also”, knurrte sie, während Vargas sich einen weiteren Stuhl heran zog. “Was habt Ihr gehört? Was wollt Ihr? Was bietet Ihr?”

Lucien nahm seine goldgefasste Brille ab und wischte die Gläser mit Hilfe seines Bartes ab. “Nun … zunächst einmal lasst mich euch versichern, dass euer Geheimnis bei mir in sicheren Händen ist.”

“Welches Geheimnis?!” wollte Marjella wissen, ein Flackern der Panik in ihren sonst eisigen Augen.

“Dass Ihr Euch zu Unrecht Geld aus der Stadtkasse angeeignet habt.” Der alte Mann seufzte. “Kein sehr feiner Zug von Euch, das muss ich schon sagen.”

Vargas kicherte verhalten, während Marjellas Wangen einen Anflug von Röte erlebten. “Ihr hattet kein Recht, unser Gespräch zu belauschen!”, lenkte sie ein.

Der Zauberer gluckste. “Lauschen war auch gar nicht nötig. Euer Streit war laut genug, dass es demnächst die Spatzen von den Dächern pfeifen. Für jemanden wie mich war es fast unmöglich, nichts mitzubekommen.”

“Jemanden wie Euch?” Marjella beugte sich vor. “Was genau seid Ihr?”

Das Lächeln unter dem grauen Bart wurde sanft. “Ein Suchender.”

“Und was sucht ihr?”, bohrte Marjella weiter. “Hier, in Dagab, bei uns?”

“Wissen, wie immer.” Lucien rückte seine Brille zurecht. “Immerhin bin ich Mitglied der Akademie von Zaraban.”

Marjellas Stimme senkte sich zu einem Zischen. “Lügner.”

“Bin ich das?” Der Zauberer hob die Brauen.

“Wo ist Euer Bannbrecher, Meister Lucien?” Die Worte fielen wie eine Trumpfkarte.

Lucien lachte schallend auf und in Marjellas Miene stürzte das sorgsam konstruierte Kartenhaus ein.

“Oh ja, mein Bannbrecher.” Lucien winkte ab. “Ein sehr zuverlässiger und loyaler Mann. Leider auch ein Langschläfer, im Gegensatz zu mir.” Er zwinkerte. “Wenn Ihr wünscht, können wir auf ihn warten. Es könnte allerdings dauern, und ich weiß nicht, ob Euer Begleiter die Geduld hat.”

Vargas schüttelte den Kopf.

Marjella blickte zwischen Alb und Magier hin und her, wie ein Kaninchen, das sich zwischen Fuchs und Schlange entscheiden musste. Es versuchte es mit Fliegen: “Was habt Ihr zu bieten?”

Lucien beugte sich vor und erklärte in übertrieben verschwörerischem Tonfall: “Ihr wollt – oder: müsst! – euren Kumpan aus dem Kerker holen ohne entdeckt zu werden? Ich verstehe mich darauf … Wege zu finden. Wege, die niemand sonst sieht oder geht. Ihr werdet meine Hilfe als äußerst … hillfreich empfinden.” Er kicherte.

“Und was genau verlangt Ihr für diese Hilfe?”

“Ihr meint abgesehen davon, dass ihr einem alten Mann wie mir das Vergnügen bereitet ein wenig Schabernack zu treiben und seine Talente für einen guten Zweck einzusetzen?”

“Abgesehen davon – ja!”, knurrte Marjella.

Lucien wiegte den Kopf hin und her. “Nun, wenn Ihr so fragt … nehmen wir an in Eurem … Besitz befände sich etwas von nicht nur beträchtlichem Wert, sondern auch großer magischer Macht und auch hohem, wissenschaftlichem Interesse.” Ein versonnenes Lächeln schlich sich unter den grauen Bart das Zauberers. “Ist es nicht verblüffend, wie oft diese Faktoren zusammenkommen?”

“Erstaunlich.” Marjellas Zähne knirschten. Langsam und mehr als widerstrebend schob sie die Hand in Richtung ihres Mantels, dorthin, wo der Seelenstein und ihre Messer warteten.

Lucien hob die Hand. “Nicht hier und nicht jetzt.”

Marjella zögerte.

“Lasst uns erst herausfinden, ob ich tatsächlich in der Lage bin, euch zu helfen.” Der Zauberer seufzte. “Stellt euch vor, es würde sich herausstellen, dass ich leere Versprechungen gemacht habe und nicht zu meinem Wort stehen kann nachdem ihr mir bereits den Preis für unsere Kooperation bezahlt habt! Es wäre mir mehr als unangenehm, derart in eurer Schuld zu stehen.”

“Allerding”, schnaubte Marjella. “Aber ich gehe keinen Handel ein, ohne den genauen Preis zu kennen und zu wissen, ob ich bezahlen kann.” Ihr Ton wurde ätzend süß. “Stellt Euch vor, es würde sich herausstellen, dass ich nicht bezahlen kann und in Eurer Schuld stehe!” Sie knurrte verächtlich. “Sagt mir hier und jetzt was Ihr wollt.”

Luciens Augen blitzten auf. “Das würde ich, wenn ich es wüsste.” Er rückte seine Brille zurecht. “Seht: ich bin ein Suchender, ein forschender Geist. Mehr als alles andere strebe ich nach Wissen.” Er ignorierte Marjellas höhnisch verzogene Miene. “Ich will Euch nicht um einen Betrag bringen. Alles, was ich will, ist verstehen – forschen!” Sein Blick glitt zu Vargas. “Ihr werdet mir zustimmen müssen, dass das äußerst billig scheint, für das, was ich euch biete.”

Marjellas Mundwinkel zuckten. Sie hatte dieses Spiel oft genug gespielt, kannte die Regeln und alle Schlupflöcher nur zu gut. “So scheint es, ja. Aber irgendetwas sagt mir, dass es nicht dabei bleiben wird.”

Lucien hob die Schultern. “Wie gesagt: wir werden es sehen. Aber nur, wenn wir uns jetzt einig werden und aufbrechen.” Er stand auf und erhöhte den Einsatz. “Also?”

Marjella atmete tief durch, sah zu Vargas, in seine eisenharte Miene: “Gegen jeden Verstand und besseres Wissen: zeigt uns den Weg.”