Gewalt in Unterhaltungsmedien ist immer ein sehr kontroverses Thema. Im typischen fantastischen, vom mitteleuropäischen Mittelalter inspirierten Setting, herrschen zusätzlich raue Sitten und das nicht erst seit dem Lied von Eis und Feuer. Hier werden epische Schlachten ausgefochten, hinterlistige Morde begangen, es wird unterdrückt, versklavt, geraubt, gebrandschatzt und vergewaltigt. Der Leser ist mittendrin. Und der Autor – der Drahtzieher hinter all diesen Abscheulichkeiten? Wie ergeht es ihm damit?
Blutspuren
Ich lerne gerade erst eine der härtesten Lektionen des Autorendaseins: Figuren umzubringen. Natürlich gab es bereits in Feuergabe den ein oder anderen Todesfall. Allerdings hat es bisher keinen meiner Protagonisten erwischt und meist wurde eher Off-Stage gestorben. Das soll sich in Königskinder bald ändern und ich muss mich seelisch darauf vorbereiten. Es fällt mir unheimlich schwer Figuren umzubringen. Ich weiß von ihnen mehr als über die meisten realen Menschen in meiner Umgebung. Ich habe sie über viele Kapitel, Tage, Monate, Meilen und noch mehr, begleitet. Aber manchmal lässt die Geschichte einem Autor keine andere Wahl und er muss Abschied nehmen. Und dann nimmt er das Messer und schlitzt seinem Tintenkind die Kehle auf.
Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Wir Autoren beenden nicht nur das Leben unserer Figuren. Wir gestalten es von Anfang bis Ende. Jede körperliche und seelische Narbe, die unsere Protagonisten tragen, haben sie von unserer Hand empfangen. Sie wurden misshandelt, verraten, verwundet, vergewaltigt, geschlagen, eingesperrt und ausgebeutet. Jedes einzelne dieser Erlebnisse – so reden sich Autoren gerne ein – war notwendig, um den Charakter zu formen, ihn zu dem zu machen, was er ist.
Manchmal gönnen wir unseren armen Figuren Vergeltung, manchmal lassen wir sie vergeben. Wir schenken ihnen zum Ausgleich Kraft und Stärke. Manchmal. Nicht immer. Aber egal was geschieht, egal wen wir in der Handlung zum Täter machen – am Ende ist es der Autor, der die Entscheidung trifft. Und wir müssen damit leben lernen.
Komplizenschaft
In Autorenkreisen wird oft darüber diskutiert, wie sich das Gewaltlevel in Literatur und Film in den letzten Jahren augenscheinlich immer weiter erhöht hat. Und es wird darüber geredet, wie viel davon tatsächlich notwendig ist und wie die Gewalt dargestellt wird. Und nicht zuletzt wird beraten, was man seinem Leser zumuten kann. Denn wenn ein Text wirklich gut geschrieben und somit die Identifikation mit den Figuren möglich ist, dann werden Leser zu Opfern und auch zu Tätern. Darauf muss man sich einlassen wollen und können. Deshalb wird teilweise auch schon über Warnhinweise auf Covern oder zumindest im Klappentext nachgedacht.
Worüber aber seltener gesprochen wird, ist die Situation der Autoren in diesem Zusammenhang. Einem Leser wird die Rolle als Opfer oder Täter zumindest irgendwo aufgezwungen, wenn er nicht gerade bereit ist, ein Buch bei Seite zu legen. Es gibt Mittel und Wege, in ihn die Szene und die Figuren hinein zu führen – Immersion zu schaffen – und auch, ihn wieder heraus zu holen. Der Autor muss seinen Leser bei der Hand nehmen, ihn führen und ihn gerade in solchen Fällen, die Grenze zwischen Fiktion und Realität vor Augen führen. Wer aber nimmt den Autor bei der Hand?
Ich-Tod
Immer wieder höre ich den Ausspruch, dass man als Autor ja eigentlich ein ziemlicher Sadist sein muss. Nicht nur, dass man seine eigenen Figuren misshandelt oder gar umbringt – man mutet das Ganze ja auch noch seinen Lesern zu.
Ich kann zumindest von mir persönlich sagen, dass ich durchaus eine sadistische Ader habe. Ich kann in Schmerz und Gewalt etwas Ästhetisches sehen. Eine Klinge durch einen Körper gleiten zu lassen stelle ich mir als unheimlich faszinierendes Gefühl vor. Gerade in letzter Zeit, da ich mich wie gesagt dem ersten wirklichen Mord an einer Hauptfigur nähere und mich mehr und mehr wirklich darauf einlasse, spüre ich, dass diese Neigung Nahrung erhält und stärker wird. Ich sage mir selbst gerne, dass das notwendig ist, dass es genau das ist, was mich in die Lage versetzt, nicht nur moralisch unantastbare Helden zu schreiben, sondern auch Schurken, Mörder und Tyrannen. Ebenso wie Opfer und Leidende. Nur auf diese Art kann ich alle meine Figuren als echte Personen sehen und sie meinen Lesern vermitteln. Wenn ich als Autor diese Dinge nicht spüren kann – sowohl das Schlimme als auch das Wundervolle – wie soll ich sie den Lesern vermitteln? Es ist notwendig. Aber trotzdem erschreckt es mich.
Jenseits
Einem Testleser – insbesondere dann, wenn es jemand ist, den wir aus dem Alltag kennen, vielleicht sogar sehr gut kennen – gewalttätige (oder auch sehr intime) Szenen zu geben, fällt den meisten Autoren schwer. In unseren Geschichten spiegeln sich oft genug unsere Meinung und unsere Moral wieder. Und eben auch dunkle Seiten, die wir sonst zu verstecken gelernt haben. Das Gewissen ist immer angekratzt, wenn wir schlimme Dinge schreiben und sobald wir darauf angesprochen werden, gehen wir praktisch automatisch in Verteidigungshaltung. In solch einer Situation verteidigen wir nicht nur unsere Geschichte, unsere Arbeit, sondern vor allem auch uns selbst. Es fällt schwer die dunkle Seite zu leugnen, wenn man sie gerade so deutlich zur Schau gestellt hat.
Viel leichter hingegen ist es, mit anderen Autoren darüber zu sprechen, denn dort bewegt man sich meist auf der Metaebene und kann die Szenen aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. So wie der Leser mit Hilfe des Autors aus der Erzählung in die Realität zurückkehrt, so können Autoren untereinander helfen, das wirkliche Leben und die Gründe dafür, warum wir uns entschieden haben, unsere Figuren zu quälen, nicht aus den Augen zu verlieren.
Wenn es nach dem Tod der Figur nicht mit ihr weiter geht, kann ich auch kaum eine Nase umbringen. ;D Selbst den Bösewicht. (Der in der Regel nur fehlgeleitet ist. Das „pure Böse“, das aus reiner Freude und fehlender Empathie anderen Schaden zufügt, das schreibe ich gerade in der Fantasy nicht. Das wäre mir zu sehr S/W-Malerei.)
Interessant finde ich aber den Punkt „Sadismus des Autors“. Persönlich emfpinde ich es nicht so. Ja, mich faszinieren die menschlichen Abgründe, aber ich versuche, daran nicht emotional teilzunehmen. Also ich versetze mich in die Lage des Täters oder des Opfers und versuche mir natürlich vorzustellen wie sich so ein langsames Abstechen anfühlen mag, aber es gibt mir nichts. Es ist eher reines Kalkül, solche Dinge für den Leser so zu beschreiben, dass er es nachfühlen kann, um den Leser emotional dahinzukriegen wohin ich ihn haben will. (Heißt natürlich auch, dass es nicht immer nötig ist, so ins Detail zu gehen.)
Was mir allerdings besonders eingefallen ist: Vor einer Weile habe ich mir so meine Gedanken um all die Superheldenfilme gemacht. Ich meine, im Grunde unterhalten wir uns damit, dem Kriegstreiben aus dem bequemen Sessel zuzusehen und beobachten Menschen/ Wesen, die irgendwie übermenschlich sind, dabei wie sie nach ihren eigenen Regeln handeln, sich über unsere Regeln hinwegsetzen (Ankläger, Anwalt, Richter und Henker in einer Person). Aber vor allem habe ich mich gefragt wie sich Kriegsflüchtlinge dabei fühlen müssen, uns zu sehen wie wir „Helden“ anhimmeln, die es nicht gibt und die daher auch nie kommen werden, um die Welt zu retten. :/ Das hat mich nachdenklich gemacht. Insgesamt heißt das aber nicht, dass ich Kriegsfilme und Romane, in denen der Krieg einen deutlichen Einfluss hat, ablehne. Es gibt ja auch viele Romane, in denen Autoren ihre eigenen Erfahrungen einfließen lassen und, wie man so schön sagt, „Bilder zeichnen“. Ich denke nur, dass man seinen Umgang Marke Poppcornkino vielleicht mal überdenken sollte. So einfach, wie wir es uns mit den Deus-Ex-Machina-Helden machen, ist es nicht.