Ich habe eine Schwäche für Helden, die keine sein wollen. Die meisten geraten unversehens in meine Geschichten hinein und müssen erst lernen, mit ihrer neuen Rolle umzugehen. Jarehl geht es genauso – nur dass er einen vollkommen anderen Weg nimmt, als alle anderen, „echten“ Helden.
Der Prinz von Amrash
Am Anfang hatte ich keine Ahnung, wer Jarehl tatsächlich ist. Er war eigentlich nur Rashuns Gegenpart, die Stimme der Vernunft, die Rashun auf Spur hält. Der hat nie einen Hehl daraus gemacht, was er denkt und fühlt und auch nicht, wohin sein Weg als Protagonist führen soll. Jarehl aber ist wesentlich verschlossener und hat es mir als Autor zum Einen nicht einfach gemacht und zum Anderen mich immer wieder überrascht. Und das waren nicht nur angenehme Überraschungen.
Jarehl beginnt die Reise als vernünftiger junger Prinz, der sich vor allem durch Einfühlungsvermögen und Voraussicht auszeichnet. Wenn nötig zieht er auch die Waffe, vor allem, um zu verteidigen, was er liebt. Aber in den meisten Fällen bevorzugt er eine friedliche Lösung. Das ist auch sein Ziel für Amrash: gemeinsam mit Arkahl will er das Vermächtnis von Drachenreitern und Korsaren begraben und das Land zu einer ehrbaren Handelsmacht aufbauen. Was ihm dabei in den Weg gerät sind der Krieg, Rashun nicht zuletzt er selbst.
Der Königssohn
Jarehls Charakter ist es auch, der die wichtigste Wendung der Handlung herbeiführt, indem er Raylaeth dazu bringt, in das Geschehen einzugreifen. Die Beziehung zwischen Jarehl und Raylaeth war als Freundschaft geplant, hat sich aber nach und nach zu etwas viel Tiefgreifenderem entwickelt. Irgendwann wurde auch mit klar, dass die beiden eine Art Vater-Sohn-Beziehung haben, mit all den Höhen und Tiefen, Vor- und auch Nachteilen, die das mit sich bringt – sie fühlen sich einander verbunden, versuchen einander zu beschützen und stellen doch immer wieder fest, dass sie eingeengt sind, sich Erwartungen stellen müssen, die sie nicht erfüllen können oder wollen.
Für Jarehl bedeutet das, dass er das bekommt, was er sich immer von seinem leiblichen Vater gewünscht hatte, der nur immer mehr mit Rashun beschäftigt war. Wobei das Problem, das Jarehl mit dieser fehlenden Aufmerksamkeit hat, mehr darin begründet liegt, dass sie ihn zu dem gemacht hat, was er ist: jemanden, der mehr als jeder andere das Dilemma von Amrash verkörpert – Amrash braucht den Frieden, um in Zukunft bestehen zu können, muss sich dafür aber erst von seinen Wurzeln lösen. Aber wie viele dieser lebenserhaltenden Verbindungen kann man durchtrennen, wieviel der eigenen Identität kann man verleugnen, bevor man den Halt verliert?
Der letzte Korsar
Im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass genau das das Motto ist, unter dem Jarehls Charakterentwicklung steht: den Halt verlieren. Er ist in einen ewigen Kampf zwischen selbst gewählten Idealen und der eigenen Natur und Erziehung verstrickt. Dazu kommt der Krieg, den er führen muss, um zu retten war ihm wichtig ist. Jarehl wird von allen Seiten bedrängt, muss andauernd Lösungen finden und reagiert immer heftiger und instinktiver auf die Steine, die man ihm in den Weg legt.
Ich denke, das ist der Grund, warum Jarehl mein persönlicher Lieblingscharakter ist – er macht nicht die typische Heldenreise, sondern durchläuft eigentlich eine rückwärtsgewandte Entwicklung, weg von den Idealen, zurück zu seinen Wurzeln und seinem wahren Wesen. Während Rashun lernt seine eigenen Ambitionen hinten an zu stellen, vernünftiger und überlegter zu handeln und auch seiner sanften Seite mehr Raum zu lassen, wendet Jarehl sich seiner dunklen Seite zu. Dort findet er die Stärke, die er braucht, um seine durchaus altruistischen Ziele zu erreichen. Es ist ein Widerspruch an sich und genau das macht Jarehl so faszinierend.