#22 | Bündnisse

Vargas sah auf Marjella hinab, die vor ihm auf einem Teppich aus alten, grauen Kiefernnadeln lag. Er legte den Kopf zur Seite, zuckte und schüttelte das Ziehen ab, das ihm den Rücken hinauf in den Nacken kroch, seinen Kiefer spannte und seine Zähne bleckte.

Töte.

Nein.

Der Prismar bäumte sich auf und griff nach Vargas’ Armen. Seine Finger krümmten sich wie Klauen. Vargas zwang sie zu Fäusten zusammen. Mit einem Ruck drehte er sich um.

Töte!

Nein.

Du hasst.

Ja.

Töte!

Nein.

Mit einem schrillen Schrei stemmte sich der Prismar gegen die Mauern seines Kerkers. Vargas’ Seele erbebte, sein Stolz und seine Sturheit hielten. Keifend zog der Dämon sich zurück. Vargas spürte seinen Blick – seine verwirrte Aufmerksamkeit.

Das Pferd schnaubte und stampfte. Es war noch immer halb panisch, doch zugleich zu erschöpft um zu fliehen. Vargas strich ihm über die samtweiche Schnauze und brummte beruhigend. Die Stute wieherte leise.

Warum?

Man tötet niemanden, der bewusstlos am Boden liegt.

Der Prismar knurrte.

Vargas beachtete ihn nicht weiter und öffnete eine der Satteltaschen. Die Kopfgeldjäger waren immerhin gut ausgerüstet gewesen. Vargas fand in Wachspapier gewickelte Feuerhölzer, Verbandszeug, eine Geldbörse, eiserne Rationen, eine wetterfeste Kapuze und ein Seil. Er nahm das Essen und stopfte das trockene Brot in den Mund, kaute es mühsam und würgte es schließlich hinunter. Sein Magen schrie gierig auf und überschlug sich. Den Würgereiz zu unterbinden kostete viel Kraft und Vargas’ Körper verkrampfte. Er war müde.

Nach zwei weiteren Bissen gab er auf und griff nach den Feuerhölzern und dem Seil, ging damit zu Marjella zurück.

Sein ungebetener Gast beobachtete ihn noch immer unruhig.

Was tust du?

Vargas beugte sich über Marjella, packte ihren Arm und drehte sie grob um. Ihr Mantel störte, also zog er ihn ihr aus. Er nahm ihr den Armpanzer ab und den Lederharnisch, entferntes alles, was ihm in die Quere kam.

Was?!

Der Prismar kratzte ungeduldig über Vargas’ Gedanken. Der schnaubte und schüttelte sich.

Man tötet niemanden, der am Boden liegt. Man fesselt ihn und wartet bis er aufwacht. Dann erklärt man ihm, was die Zukunft für ihn bereit hält.

Was hält die Zukunft bereit?

Vargas schlang das Seil um Marjellas Arme, band ihre Handgelenke zusammen.

Was?!

Ärgerlich über die Unruhe in seinem Innern zog Vargas die beiden Messer, die er von Marjella hatte, hervor und legte sie neben sich. Die Feuerhölzern platzierte er ebenfalls dort. Der Prismar starrte durch Vargas‘ Augen darauf hinab.

Was?!

Du hast nicht besonders viel Fantasie, nicht wahr? Du bist ein Dämon oder etwas ähnliches. Für dich gibt es nur eine einzige Sache die dein Wesen ausmacht: Zorn. Du kannst ihn nicht kontrollieren, du kannst ihn nicht lenken. Du willst nur zuschlagen, töten, zerreißen, vernichten. Du weißt gar nicht, was echter Hass ist. Du weißt gar nicht, wie gut Rache schmecken kann, wenn man die richtig zubereitet.

Der Prismar schwieg verwirrt. Vargas hätte beinahe gelacht. Er schnitt etwas Seil ab und legte es um Marjellas Oberarm. Genüsslich zog er es fest und immer fester, bis es leise knarrte. In ihm regte sich der Prismar, angelockt von dem Schmerz, den Vargas bereitete. Er schnüffelte.

Was tust du?

Vargas stand auf und begann nach abgebrochenen Ästen zu suchen.

Wie lange warst du in diesem Stein gefangen? Die ganzen siebentausend Jahre seit dem Weltenbrand? Was weißt du wirklich über Hass? Was weißt du über die Wesen dieser Welt, die du ins Verderben stürzen willst?

Mit geübten Bewegungen hob Vargas eine kleine Mulde in den Kiefernnadeln aus und sicherte sie mit Steinen. Er schichtete das Holz hinein und entfachte ein Feuer. Bald schon spürte er die Hitze auf seiner Haut.

Er setzte sich neben das Feuer und nahm eines der Messer zur Hand. Vom Sattelzeug des Pferdes hatte er einige Riemen aus festem Leder geschnitten, die er nun sorgfältig um den Griff der Waffe schlang. Noch immer beobachtete der Prismar jede seiner Bewegungen. Er war unruhig, streifte hin und her wie ein Tier im Käfig.

Was weißt du über uns? Was weißt du über mich?

Ich sehe.

Du siehst meine Erinnerung? Siehst du, was mich zu dem gemacht hat, was ich bin? Was uns verbindet?

Zorn. Hass! Töte!

Vargas’ Körper erbebte. Mit einem tiefen Knurren brachte er den Prismar zur Räson.

Ist das alles, was du kannst? Blinde Wut? Toben und Wüten? Blutrausch?

Der Prismar heulte auf. Vargas lächelte grimmig.

Du weißt gar nicht, was ein echter Rausch ist, wie man ihn voll auskostet. Ich weiß es. Glaub mir, ich weiß es nur zu gut.

Vargas leckte sich über die aufgesprungen, durstigen Lippen.

Ein richtiger Rausch ist etwas herrliches. Man erarbeitet ihn sich und hält ihn über Stunden. Stunden in denen man vergessen kann, in denen man Ruhe hat und das Leben genießen kann. In denen man überhaupt leben kann.

Man schüttet nicht einfach den stärksten Fusel den man finden kann in sich hinein um dann umzukippen. Man arbeitet sich langsam vor, findet seine Grenze, den Rand des Abgrunds. Und dort bleibt man und genießt die Aussicht und das Gefühl der Freiheit. Ab und an entfernt man sich ein Stück davon, oder man probiert aus, ob man doch noch etwas weiter gehen kann, man stellt sich vor, wie es wäre zu fliegen. Ein schönes kleines Spiel. So lange bis man genug hat und es beendet.

Der Prismar starrte.

Vargas schüttelte den Kopf. “Du hast wirklich keine Ahnung. Nicht mal von Metaphern.“

Er schürte das Feuer und legte noch etwas Holz hinein. Die Glut loderte. Ihr Schein lockte den Prismar. Langsam schlich er sich an Vargas heran.

Was hält die Zukunft bereit?

Vargas lächelte und ließ seiner Fantasie freien Lauf. Der Prismar betrachtete die Bilder, lauschte den heiseren Schreien und sog den Duft tief ein. Dann kicherte er. Er drängte sich näher an Vargas’ Geist, versuchte nicht ihn zu übernehmen oder zu kontrollieren. Er schmiegte sich um die Bahnen, in den denen die Gedanken des Alb sich wanden, folgte ihnen fasziniert.

Vargas’ Körper zuckte. Sein Nacken versteift sich, ließ den Kopf nach hinten rollen. Ein scheußliches Lachen wollte sich aus seiner Kehle lösen, kräuselte seine Lippen.

“Hör auf damit“, knurrte Vargas. “Das gehört mir.“

Uns.

“Mir. Vorerst. Du kannst den Rest haben.“

Das Pferd schnaubte und schüttelte sich unwillig.

Ich mag dich.

“Na wenigstens einer.“ Vargas stocherte in der Glut, sah den tanzenden Funken nach und wartete.

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