#16 | Bestien

Die Wolken hatten sich wieder zusammengezogen und kündigten neuen Regen an. Die Kopfgeldjäger schwiegen. Nur die Pferde waren zu hören – sie schnaubten leise, ließen die Zügel ab und an klirren und unter ihren Hufen knirschten der Kies. Über ihre gebeugten Hälse hinweg warfen sich die Reiter nervöse Blicke zu. Schließlich kamen sie zu einer Übereinkunft und einer von ihnen trieb sein Pferd vorwärts, ließ es neben Marjellas her laufen. Er beugte sich zur Anführerin der Truppe hinüber und raunte ihr etwas zu. Sein Blick ging dabei nach hinten, traf Vargas’ und floh schnell wieder.

Marjella gab eine barsche Antwort, die dem Mann an ihrer Seite offenbar nicht gefiel. Das Gespräch wurde heftiger.

Vargas, der hinter Furgam aufgesessen war, versuchte gar nicht erst zu lauschen. Sein Kopf befand sich im angenehmen Stadium des beginnenden Rausches. Es hatte tatsächlich nicht viel von Furgams geheimen Vorrat gebraucht und Vargas leckte sich die Lippen. Sein Leben war nicht mehr in unmittelbarer Gefahr, er hatte zumindest einen kleinen Teil seiner Würde zurück und genug Zeit, sich ausführlich seinen Rachefantasien hinzugeben, während er auf die Gelegenheit wartete, sie in die Tat umzusetzen. Er hatte es nicht eilig. Das einzige was ihn störte, war das Jucken und Brennen, das seinen Rücken hinauf und hinunter lief. Vargas versuchte es abzuschütteln.

“Sitz still, sonst haut es dich runter“, murrte Furgam und zog an den Zügeln.

“Keine Sorge, ich beiß mich rechtzeitig fest“, antwortete Vargas und beobachtet zufrieden, wie der Mensch vor ihm den Kopf einzog.

Der alte Kopfgeldjäger brummte einen leisen Fluch. Vargas beugte sich zu ihm vor und flüsterte: “Du kennst sie sehr gut, nicht wahr? Verrat mir etwas über sie. Irgendetwas, mit dem sich meine Gedanken befassen können.“

“Ja, ich kenne sie.“ Furgam schnaubte. “Sie ist ein Freund. Also warum sollte ich sie dir und deiner schmutzigen Fantasie zum Fraß vorwerfen?“

“Noch ein Handel?“, schlug Vargas vor. “Sag mir, was ihr Angst macht und sag mir, was dir Angst macht, dann werde ich es nicht gegen dich benutzen.“

Furgam lachte hart auf. “Nee, Freundchen, vergiss es.”

Er verstummte, als Marjellas wütender Blick ihn traf.

Vargas lachte leise. “Im Moment würde ich sagen, du hast Angst vor ihr.“

Furgam hob die breiten Schultern. “Ein Narr wer das nicht hat. Du hast sie ja erlebt. Härtester Knochen, den ich kenne, nie um eine Antwort verlegen. Mit Elfenblut in den Adern nach Fairan at Darnen gehen? Niemand sonst hätte die Eier.“

“Sie hat keine Eier.“

“Sie holt sich welche, wenn nötig. Also pass’ besser auf.“ Furgam grinste breit und anzüglich.

“Wenn du glaubst …“

Marjella hob die Hand und brachte ihr Pferd und die ganze Truppe zum Stehen. Die Männer griffen nach ihren Waffen. Marjella zog ihr Schwert, eine lange gerade Klinge, silbrig schimmernd. Die Waffe war einem Elfenritter würdig, der Griff kunstvoll gearbeitet und mit kostbaren Steinen verziert. In Marjellas Händen wirkte sie deplatziert.

Die Pferde tänzelten unter ihren nervösen Reitern. Sie wieherten und schnaubten. Marjella versuchte mit einer herrischen Geste für Ruhe zu sorgen. Ihre Blicke glitten umher, ihre Miene war finster, angespannt.

“Was ist los?“, wollte Furgam wissen.

“Jemand ist hier.“ Marjella nickte in die Richtung, in die sie unterwegs gewesen waren. Irgendwo dort vorn hatten sie den Karren und zwei weitere Männer zurückgelassen.

Furgam legte die Stirn in Falten. “Ein Empfangskomitee?“

Marjella knurrte: “Eins von der üblen Sorte. Sag deinem neuen besten Freund, er soll sich festhalten.“

Mit einer knappen Geste schickte Marjella zwei ihrer Männer los, um das Lager zu umrunden. Sie selbst trieb ihr Pferd wieder vorwärts. Furgam folgte ihr, hatte seine Armbrust gespannt und das Schwert gezogen. Vargas suchte Halt am Sattel. Er bezweifelte, dass man ihm einen Rettungstrupp hinterher geschickt hatte. Viel wahrscheinlicher war, dass seine Vorgesetzten bei der Nachricht, dass er verschwunden war, erleichtert aufgeatmet hatten. Er biss die Zähne aufeinander. Der wohlige Dunst in seinem Kopf lichtete sich. Zorn begann in seinem Magen so brodeln, fraß sich langsam in Vargas’ Gedanken hinauf. Er spürte, wie das Ding – der Prismar – sich in ihm regte. Die Muskeln auf Vargas’ Rücken zuckten, sein Nacken versteift sich. Er schauderte.

“Ruhe“, raunzte Furgam.

Vargas sog die kühle Bergluft ein. Unter dem Geruch von Regen und Kiefern lag die dritte Note, die Fairan at Darnen prägte.

“Wölfe“, schnaubte Vargas.

Furgam nickte. “Haben sich die letzte Nacht schonmal an uns ran geschlichen.“

Vargas sah sich aufmerksam um, die steilen Klippen zu beiden Seiten hinauf. “Das ist kein guter Ort für sie. Sie mögen die offeneren Täler.“

Furgam nickte wieder. “Dachte ich mir auch.“

“Idioten!“, entfuhr es Marjella. Sie hatte eine weiße Wolke entdeckt, die nicht weit vor ihnen aufstieg und trieb ihr Pferd eilig vorwärts.

In kurzer Zeit hatten sie das Lager erreicht. Die zwei Männer, die sie beim Karren zurückgelassen hatten, saßen zusammengekauert am Feuer, das nicht richtig brannte, nur mühsam vor sich hin qualmte. Der Regen war dabei es vollständig zu löschen.

Marjella fluchte und lenkte ihr Pferd zu den beiden hinüber. “Was tut ihr da? Könnt ihr nicht aufpassen!?“

Sie bekam keine Antwort. Vorsichtig stieß sie einen der beiden mit ihrem Fuß an. Er reagierte nicht und Marjella drückte ihn zur Seite, bis er umkippte. Klappernd fielen die Stöcke zu Boden, mit denen die Leiche aufrecht gehalten worden war.

“Scheiße“, seufzte Furgam.

Hörner erklangen, hallten krachend von den Felswänden um sie herum wider.

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