#14 | Die Ruine

Vargas wurde in die Dunkelheit gerissen. Die Tiefe zerrte an ihm, rauschte, brüllte, betäubte seine Sinne, nahm ihm den Atem. Er fiel und es gab keinen Halt, nichts, nach dem er greifen konnte, nichts das ihn retten konnte. Nur Schatten und Leere. Und Zorn – rot glühend, rasend, pulsierend. Er kam auf Vargas zu, wie ein Raubvogel auf seine Beute. Brennende Klauen streckte sich seinem Selbst entgegen und packten ihn.

Vargas schrie. Aus seinem Mund schoss eine Flamme hervor. Er wand sich, drehte sich, schlug zu. Seine Kraft ging ins Leere. Es gab kein Ziel, gegen das er sie richten konnte. Was auch immer es war, das ihn ergriffen hatte, war Teil von ihm.

Es hielt ihn, ließ ihn in der Dunkelheit schweben. Vargas starrte in die Tiefe, deren Sog nicht nachgelassen hatte. Vargas widerstand ihm nur.

Nein – das Ding in ihm war es, das dem Tod trotzte. Und es war nicht bereit, ihm Vargas zu überlassen. Es bohrte sich tiefer in Vargas’ Seele, bis er schrie vor Schmerz, und verkündete ruhig: Mein!

“Nein!“, brüllte Vargas zurück. “Nein! Ich habe diesen Scheiß lange genug mitgemacht! Verschwinde!“

Ohne mich stirbst du.

“Dann lass mich sterben, verdammtes Arschloch!“

Ein schauriges Lachen füllte die Finsternis. Noch nicht.

Vargas schrie mit alles Kraft, stemmte sich gegen das fremde Bewusstsein, das sein eigenes durchdrang. Aber er konnte nicht Feuer mit Feuer bekämpfen. Wohin auch immer er seinen Zorn richtet, seinen Geist, seinen Willen, und das Ding von sich fort drängte, wuchs es an, wurde mächtiger und stärker. Es schlang sich um Vargas wie Ouroboros um die Ränder der Welt. In seinen Windungen entstand mehr Hitze. Sie verbrannte Vargas. Er konnte nicht entkommen.

Mein. Die Stimme klang zufrieden. Allein mein.

Vargas antwortete mit einem Brüllen und bäumte sich noch einmal auf. Er richtete sich auf, streckte die Schultern und ballte die Fäuste. Was auch immer von seinem Körper geblieben war setzte zum letzten Schlag an, richtete ihn nach innen, gegen sich selbst. Wille kämpfte gegen Instinkt, Hass gegen Zorn.

Mein!

“Vergiss es!“ Vargas spürte wie er Raum gewann. Das Ding verlor den Halt und Vargas entzog ihm nach und nach alles, nachdem es greifen wollte – Furcht, Schmerz, Trauer, Stolz. Das alles war sein und er wurde es niemandem überlassen. Eher nahm er es mit in den Abgrund.

Mit einem hasserfüllten Schrei musste das Ding zurückweichen. Vargas lachte. Er merkte, wie er wieder zu fallen begann. Dieses Mal würde ihn nichts aufhalten.

Er sah zurück. Über ihm waberte ein blutroter Nebel, tastete immer noch mit einigen Schlieren nach Vargas, umspann ihn, versuchte ihn zu halten.

Dahinter glomm ein Stern auf, weiß und hell. Vargas schloss geblendet die Augen.

Alles wurde rot.

“Was hast du gemacht?“

Marjella richtete sich keuchend auf. Furgam griff nach ihrem Arm und hielt sie.

“Verdammter Idiot“, entkam es Marjella zwischen zwei Atemzügen. “Fast hätte er seinen Dickschädel durchgesetzt und wär’ abgekratzt. Ich musste dem … Ding allen Ernstes den Weg frei machen.“

Zitternd kam sie auf die Beine und sah sich um. Ihre Männer starrten sie verständnislos an. Sie schüttelte den Kopf und sparte sich ihren Atem. Es hatte keinen Zweck es zu erklären, sie verstand es selbst nicht wirklich.

Ärgerlich sah sie auf die Splitter hinunter, die alles waren, was von dem Stein, dem Artefakt, für das sie all die Strapazen und Gefahren auf dich genommen hatte, geblieben waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie die Anweisungen so falsch verstanden hatte. Usman hatte sich klar ausgedrückt: die Waffe musste eingesetzt werden. Nur war sie am Schädel des verfluchten Alb gescheitert und etwas hatte sich befreit und sofort auf Vargas gestürzt.

Unheilsgeist, Prismar – so wurde es in dem Buch genannt. Ich hätte es mitnehmen sollen, aber der verdammte Bibliothekar war so aufdringlich – ich hätte ihm eine klare Abfuhr erteilen sollen.

Was auch immer es war, jetzt war es in Vargas. Und es bewegte sich. Marjella zuckte zurück, bevor ihr klar wurde, dass Vargas selbst noch immer besinnungslos war. Er lag am Boden, das Gesicht nach unten und rührte keinen Muskel. Es war der Prismar in ihm, der sich unter der bleichen Haut des Alb hin und her wand. Die Buchstaben, die das Wort Verderben bildeten, tanzten auf und ab. Dann lösten sie sich langsam auf, verschwanden in der Tiefe.

Marjella, Furgam und die Kopfgeldjäger beugten dich vor, starrten atemlos. Eine Fratze tauchte auf Vargas’ Rücken auf, grinste ihnen entgegen. Sie wichen zurück. Einer der Männer übergab sich. Marjella schaute gebannt zu, wie das Gesicht Kontur gewann. Es drückte sich von unten gegen die Haut, spannte sie, bis es sich deutlich abhob. Dann sackte es in sich zusammen und verschwand.

Marjella drehte sich um und atmete tief ein und aus.

Eins.

Zwei.

Drei.

“Verschnürt ihn wieder.“

“Was?!“, fuhr Furgam auf.

Marjella schüttelte ihren schmerzenden Kopf. “Das Artefakt ist hinüber. Er hat jetzt das, was Usman wollte. Wir nehmen ihn mit.“

“Das ist doch Wahnsinn“, murmelte einer der Männer.

Marjella widersprach nicht. Sie hatte den Kampf gesehen, wie Vargas sich gegen den Prismar gewehrt und fast gesiegt hätte.

Genau wie Mutter es immer gesagt hat. Verdammter Sturkopf! Zweimal in zwei Tagen musste ich schon Magie einsetzen, um ihn zur Räson zu bringen.

Ich sollte mehr Geld hierfür verlangen.

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