Ich glaube wenn ich mir einen meiner Charaktere aussuchen müsste um mit ihm im echten Leben befreundet zu sein, dann wäre es Rashun. Ich war ja nie besonders draufgängerisch, habe nie wirklich wilde Partys gefeiert und bin mir am nächsten Morgen mit schwerem Kater und Gedächtnislücken aufgewacht. Manchmal fürchte ich, dass ich da etwas verpasst habe. Wäre ich mit Rashun befreundet gewesen, hätte ich ganz sicher nichts verpasst, denn der lässt nichts aus. Um Folgen kann man sich Gedanken machen wenn man ihnen gegenüber steht. Und als Prinz von Amrash hat er da eigentlich nur seinen Vater zu fürchten.
Bastard
Aber von Anfang an: Rashun ist das uneheliche Kind von König Karavash. Der Sproß einer durchaus leidenschaftlichen und überstürzten Beziehung, was dazu geführt hat, dass Rashun nur drei Monate jünger ist als sein Halbbruder Jarehl. Die beiden sind wie Zwillinge gemeinsam aufgewachsen und waren lange Zeit unzertrennlich.
Das einzige was wirklich zwischen ihnen steht ist die Liebe ihres Vaters und des Volkes. Während Jarehl sich zu einem vernünftigen und verantwortungsbewussten jungen Mann entwickelt, wendet sich ganz Amrash Rashun zu, der seinem Vater nicht nur äußerlich gleicht, sondern auch das feurige und aufbrausend Temperament des alten Königs geerbt hat. Und dazu auch noch das Siegel der Drachenreiter. Rashun ist der perfekte Prinz und Thronerben für Amrash.
Oder wäre es zumindest, wenn er nicht als Bastard geboren und somit letzter in der Thronfolge wäre. Seine Chancen auf eine legale Erbschaft sind praktisch nicht existent. Rashun weiß das. Und es zehrt an ihm.
Kämpfer
Wie die meisten meiner Protagonisten sieht Rashun sich mit hohen Erwartungen konfrontiert. Seit früher Kindheit an hat man ihm immer wieder gesagt, dass er perfekt wäre um den Thron zu besteigen und praktisch im gleichen Atemzug erklärt, warum das nie passieren wird. Was tut ein Junge, der als geheime Hoffnung seines Volkes gilt? Er versucht dem irgendwie gerecht zu werden. Was sehr schwer wird, wenn das äußerliche Symbol dieses Anspruches – das Siegel der Drachenreiter – wirklich nur noch ein Symbol ist. Es gibt keine Drachen mehr – Amrash wird somit nie zu alter Stärke zurückkehren.
Allerdings ist Rashun niemand, der sich von solchen Details aufhalten lassen würde. Er kämpft trotzdem um die Anerkennung seines Vaters und seines Volkes und scheitert dabei immer wieder. Zum einen an der eigenen Bequemlichkeit (immerhin ist man ein Prinz und sollte alles bekommen was einem nicht schon in die Wiege gelegt wurde) und zum anderen an Jarehl, dessen Leistungen Rashuns immer übertrumpfen.
Die Verbindung zwischen den beiden Brüdern hat sich in den letzten Jahren vor dem Beginn der Erzählung in “Königskinder“ deutlich verschlechtert. Seit ihre Schwester Ashala Amrash verlassen hat, haben die beiden sich auseinander gelebt. Rashuns Konkurrenzkampf wurde immer hitziger und auch verzweifelter. Die mangelnden Erfolge kompensiert er durch wilde Feiern und Tagträumereien.
Rebell
Rashun wäre der perfekte Kandidat für eine hinterhältige Intrige um auf den Thron zu gelangen. Wenn er nicht zu faul für solche Gedankenspiele und die mit der Ausführung verbundene Arbeit wäre. Aus diesem Grund ist er zu Beginn von Königskinder einfach nur ein Hitzkopf, der die Pläne seines Bruders aus Prinzip verbal torpediert aber doch mitspielt, aus Mangel an Alternativen.
Erst als die Verluste immer zahlreicher und schwerwiegender werden, wächst auch die Unzufriedenheit in Rashun und entlädt sich schließlich am Ende des zweiten Teils, als er plötzlich eine reelle Chance sieht die Erwartungen seines Vaters und seines Volkes doch noch zu erfüllen: er trennt sich von Jarehl und schlägt einen eigenen Weg ein, der früher oder später zu einer endgültigen Konfrontation der beide führen wird.
Held
Man sagt immer es bräuchte Konflikte um die Handlung voran zu treiben. Mit einer Figur wie Rashun wird man nie um einen verlegen sein. Er trägt zuviele Fehden mit sich und seiner Umwelt aus, schreckt nicht davor zurück diese handgreiflich und sogar blutig werden zu lassen. Kein Wunder also dass der erste Tode der Geschichte auf sein Konto geht. Und auch der Zweite kommt durch Rashuns unüberlegtes Handeln zu Stande.
Als ich Rashun in einem kleinen Autorenkreis vorgestellt habe, kam schnell die Frage auf, ob so jemand überhaupt sympathisch sein könnte, ob man sich mit ihm identifizieren kann.
Und wie ich im ersten Abschnitt schon gesagt habe: ich würde ihn sofort als Freund nehmen. Nicht nur weil er für jeden Unsinn zu haben ist und weiß wie man die Sau raus lässt. Sondern weil er genau wie alle seine Geschwister ein ehrlicher Mensch ist. Er hält mit seiner Meinung nie hinter dem Berg, er lässt jeden wissen was ihm nicht passt und steht gleichzeitig für das ein, was ihm richtig erscheint. Er ist humorvoll, er ist charismatisch und hat genug Energie um ein ganzes Heer anzutreiben. Er weiß nur nicht immer wohin damit.
Und nicht zuletzt ist er einer der menschlichsten Charaktere in Königskinder. Er fliegt hoch, er fällt tief. Er macht viele Fehler, er lernt daraus. Er versucht das richtige zu tun und wählt oft die falschen Mittel und Wege. Mit ihm kann man lachen und weinen, ihn kann man verfluchen und gleichzeitig ganz fest in den Arm nehmen wollen. Wenn es in Königskinder jemanden gibt, der weiß was Liebe wirklich bedeutet, dann ist er es.
Um mit den Worten seines Bruders zu schließen: “Er ist der Einzige, den ich nie enttäuschen konnte, nur überraschen.“