Es ist eine der beliebtesten Regeln des Schreibens, knapp hinter “Show, don’t tell“. Leider wird “Kill your Darlings“ oft missverstanden. Die Schuld daran schiebe ich einem gewissen Herrn Martin zu, der diese verdrehte Interpretation scheinbar zur Grundprämisse seines Hauptwerkes erhoben hat. Hier aber einige Gedanken zur eigentlichen Bedeutung.
Oh my Darling
Das Missverständnis ist naheliegend – mit den Darlings sind in diesem Fall nicht beliebte Figuren der Handlung gemeint, die man umbringen soll um Spannung und Emotionen zu erzeugen. Natürlich ist das ein legitimes und auch probates Mittel. Aber in diesem Fall sind mit Darlings eigentlich all die Dinge gemeint, an denen das Autorenherz hängen könnte – Charaktere genauso wie Szenen, Formulierungen, Dialoge, …
Ja, aber wie soll man denn bitte eine Szene umbringen? Oder eine Formulierung? Und warum sollte ich als Autor etwas löschen, das für die Geschichte wichtig ist? Oder gar etwas, das mir selbst wichtig ist?
Genau hier liegt das Problem: für den Autor wichtig und für die Geschichte wichtig sind nicht immer das Gleiche. Deswegen sollte man sich bei jeder Überarbeitungsrunde jedes Element vornehmen und sich die Frage stellen: braucht es das tatsächlich? Oder will ich es nur?
Geschmacks- und Ansichtssache
Wir Autoren sind da ja schon ein seltsames Völkchen – wir sitzen zumeist in unseren Schreibstübchen und lassen unsere Oberstübchen die ausgefallensten Szenarien konstruieren, feilen tage- wenn nicht gar monatelang an Formulierungen und Dialogen, erschaffen Welten voller liebevoller Details. Wir stecken da harte Arbeit hinein, Herzblut, Zeit und was noch alles. Wir sind in unsere Werke verliebt, sie sind unsere Babys. Wir wissen, dass sie Potential haben und wir wollen, dass das jeder erkennt. Wenn es dann soweit ist und wir unsere Tintenkinder an die Leser weiterreichen, dann hoffen wir auf ebensoviel Begeisterung. Und bekommen oftmals ein “Ist ganz gut.“
Ein Tiefschlag.
Und dabei haben wir solche Mühe gegeben, soviel Gefühl mit hinein gepackt, soviel Witz, soviel Charme und Fantasie. Wir haben – verdammt nochmal! – hart daran gearbeitet. Wieso kommt das nicht beim Leser an?
Die einfache Antwort lautet: weil wir oftmals die Geschichte vor allem für uns selbst schreiben, um uns zu beweisen, dass wir es können.
Kill your self
Was nun kommt, ist mit eine der schwersten Aufgaben als Autor – sich selbst und das Bedürfnis nach Anerkennung zurück zu nehmen und hinter die Bedürfnisse der Geschichte und der Leser zu stellen. Auch mir fällt das schwer. Nicht nur bei Schreiben, sondern auch in meinem Brotberuf, wo mir mein Chef schon mehrfach gesagt hat “Du denkst zu sehr als Grafiker, nicht als Kunde.“
Übersetzt auf das Autorenhandwerk lautet die Devise: “Du sollst nicht etwas schreiben um zu zeigen, dass du ein guter Autor bist, sondern um eine Geschichte zu erzählen.“
Hat man das einmal verstanden, geht es an die Arbeit: Kill your Darlings.
Denn im Normalfall sind diese Darlings eben genau die Stellen, an denen wir uns selbst und den Lesern etwas beweisen wollten. Zur Geschichte tragen sie nicht unbedingt bei, womöglich schaden sie ihr sogar.
Also heißt es kürzen und umformulieren. Jedes einzelne Element muss auf seine Sinnhaftigkeit überprüft werden. Was durchfällt ist weg vom Fenster. Keine Gnade.
Es ist zum Heulen. Manchmal raubt uns dieser Abschnitt der Arbeit an einem Projekt die gesamte Motivation. Die Geschichte ist einfach nicht mehr das, was sie mal war, was sie in unseren Augen sein sollte und auch könnte. Und manchmal entscheiden wir das Werk lieber in einer Schublade zu verstecken, als uns selbst das Herz aus dem Leib zu reißen.
Was kann man dagegen tun?
Balsam für die Seele
Ich spreche mich in solchen Fällen immer wieder dafür aus, solche “goldenen Regeln“ zu hinterfragen. Die Logik darf natürlich nicht gebrochen werden, aber ab und an darf sie ein wenig leiden. Ab und an darf man sich als Autor auch einen Spaß gönnen. Und das kommt oft genug auch beim Leser an – vor allem wenn man diese Mätzchen ans Ende einer Geschichte packt, wo der Leser schon mit den Figuren vertraut ist, sie kennen und lieben gelernt hat, das Ende kommen sieht und sich denkt: “Ein bißchen länger noch!“
In Königskinder habe ich eine entsprechende Szene, in der Jarehl und Rashun etwas Zeit totschlagen müssen und deswegen ein kleines Gelage veranstalten. Es gibt einen verbalen Schlagabtausch, der Leser bekommt ein paar leckere Häppchen Backstory und sitzt gleichzeitig auf Nadeln, da er im Gegensatz zu meinen beiden Protas weiß, dass sie eigentlich gar keine Zeit zum Totschlagen haben – sie wurden hereingelegt und müssten schnell handeln, um die Katastrophe zu verhindern.
Diese Zweischneidigkeit liebe ich an der Szene, deswegen werde ich sie trotz Klamauk und Zeilenschinderei nicht rausnehmen – sollte mir das jemals jemand vorschlagen. Denn bei meiner Testleserin kam die Szene ebenfalls sehr gut an und sie hat es so formuliert: “Manchmal lese ich lieber etwas das Spaß macht, statt etwas, das wirklich Sinn macht.“
Hm, hm. So wie du deine Szene beschreibst, scheint sie mir aber nicht „sinnlos“ zu sein, im Gegenteil, sie steigert die Spannung und bringt noch ein bisschen Backstory unter. 🙂
Ich würde tatsächlich nur Szenen streichen oder umschreiben, die nichts weiter tun als mich Autor zu belustigen.
Das ist es ja was ich meine: die Szene war am Anfang auch eher eine „Fingerübung“ von mir und hat ihren Sinn erst zu einem späteren Zeitpunkt bekommen. Wenn man als Autor wirklich an so etwas hängt, dann kann man sicher auch Wege finden, es zu legitimieren.